Die Spore-Initiative ist eine noch junge Organisation, die während der Pandemie entstanden ist; die Team-Mitglieder stammen aus unterschiedlichen Ländern (Ägypten, Italien, Brasilien, Deutschland und Argentinien). Sie eint ihr gemeinsames Interessen an der Kunst, der Museografie und kulturellen Prozessen. Es sind Kurator*innen, die sich neue Formen musealer Präsentation zu eigen gemacht haben, innerhalb derer nicht allein einzelne Originalstücke einer bestimmten Kultur oder Volkes präsentiert werden, die allein die Vergangenheit im Blick haben, sondern lebendige Ausstellungsstücke – oder besser gesagt: lebensspendende Praktiken ländlicher Gemeinschaften gezeigt werden. In diesem Fall steht die Maya-Kultur im Mittelpunkt, wie sie, unter anderem, aus der Perspektive von U Yits Ka’an gesehen und erzählt wird. In unserer Maya-Region gibt es viele weitere Projekte, die sich auch der Bewahrung und erneuten Wertschätzung unserer Traditionen widmen, die wir kennen und schätzen.  

Nach einer längeren Periode des Dialogs und mehreren Treffen mit der Direktorin von Spore in Berlin und ihrem Team kamen wir überein, in der Ausstellung verschiedene Lebens-und Arbeitsweisen zu zeigen, die die Maya auf der Yucatán-Halbinsel weiterhin mit großer Überzeugung pflegen: die Beobachtung und Interpretationen des Xook K’iin, den überlieferten Mythos, beziehungsweise die alte Erzählung von Kuxaán Su’um oder dem lebendigen Seil sowie die Arbeit verschiedener Imker*innen mit einheimischen Bienen. Viele von ihnen sind auch verbunden mit U Yits Ka’an, und alle sind Teil einer einzigen, gemeinsamen Realität: den Kämpfen für den Erhalt der identitärer Bindungen zu unserer Kultur und dem Bestreben, auf den Milpa-Feldern und in den Hinterhofgärten unserer Gemeinden, Lebensmittel anzubauen, immer mit einem respektvollen Umgang mit unseren Wäldern und Bergen sowie mit denen, die über sie wachen. Es handelt sich hierbei also nicht um drei voneinander unabhängige Teile, sondern um eine Einheit, von der diese Ausstellung erzählen möchte.  

Wir wandten uns an Menschen, die diese Traditionen in ihrem täglichen Leben praktizieren, kennen und leben, um mit ihrem Wissen zu dieser Ausstellung beizutragen; außerdem wurden verschiedene, insbesondere junge Maya-Künstler*innen eingeladen, wie etwa Cecilia Moo, Mauricio Collí oder Valiana Hernández und Ángel Kú, die sich in ihrem Projekt Suumil Mookt’an der Wiederaufnahme des Solar Maya widmen; Teil der Ausstellung waren auch andere bildende Künstler*innen wie Ariel Guzik, der die Casa de las Semejanzas (Haus der Gemeinsamkeiten) schuf, einen Raum, der den Melipona-Bienen gewidmet ist, und Rafiki Sánchez aus Mérida, der ein Werk geschaffen hat, das auf kreative Weise an das lebendige Seil erinnert. Mauricio Collí schließlich ist ein ausgezeichneter Grafiker, der die Kunstdrucke über den Nestbau des Yuya-Vogels, und die Graphiken im Buch über die Xunaan Kaab, die Melipona-Biene entwarf. Aktuell prüfen wir gemeinsam, wie diese Kunstwerke auch in Yucatán ausgestellt werden könnten.

Tour durch die Ausstellung U JUUM BÀALAM KAAB das Summen der Wächterbiene während der Spore Eröffnung
© Victoria Tomaschko
Tour durch die Ausstellung KUXAÁN SÚUM das lebendige Seil während der Spore Eröffnung
© Victoria Tomaschko
Ausstellung U JUUM BÀALAM KAAB das Summen der Wächterbiene während der Spore Eröffnung
© Victoria Tomaschko
Keynote von Vandana Shiva während der Spore Eröffnung
© Victoria Tomaschko
Keynote von Atilano Ceballos Loeza während der Spore Eröffnung
© Victoria Tomaschko
Valiana Aguilar vom Maya Kollektiv Suumil Móokt’aan während des Gesprächs 'Protecting the Earth Protectors'
© Victoria Tomaschko
Ausstellung XOOK K’IIN Zeitlichkeiten wahrnehmen während der Spore Eröffnung
© Victoria Tomaschko

Drei Tage lang feierten wie die Eröffnung dieses neuen Hauses für die Kulturen der „Peripherie“, den Kulturen, die an der Basis entstehen. Den Anfang bildeten die einleitenden Worte von Hans Schöpflin, dem Gründer dieser Initiative, und Antonia Alampi, der Direktorin von Spore, am 21. April. Am Samstag, den 22. April, lauschten wir den Worten und Berichten der eingeladenen Gastredner*innen, gefolgt von geführten Rundgängen durch die verschiedenen Räume des Museums. Am Sonntag, den 23. April, endeten die Feierlichkeiten schließlich mit Workshops, Treffen für Gespräche und Austausch, einem von Kindern organisierten Rundgang sowie einer Performance zum Thema Bienen. Im Laufe der Tage besuchten viele Berliner*innen die Ausstellung: Kinder, Schulklassen, Jugendliche und Erwachsene.


Die Spore-Initiative verfügt auch über einen kleinen Garten für den Anbau von Kräutern und Gemüse, wo Besucher*innen die Praxis der Agrarökologie als Alternative zum herkömmlichen Landwirtschaftsmodell kennenlernen und ausprobieren können. Des Weiteren gibt es im Haus eine Bibliothek, in der es eine Reihe von Texten und Büchern aus verschiedenen Teilen der Welt gibt. Aus manchen entfalten sich beim Öffnen Bilder und Figuren, während andere keine gedruckte Worte enthalten, sondern sich mit Hilfe von verschiedenen visuellen Ausdrucksformen mit bestimmten Themen befassen. Es ist ein Ort für Begegnung und Forschung.  


Der feierliche Teil des Programms, der insbesondere zum Nachdenken anregte, fand im zentralen Auditorium statt. Als Hauptrednerin war die indische Aktivistin Dr. Vandana Shiva eingeladen, deren Präsenz und Worte eine besondere Leuchtkraft für das einheimische Saatgut dieser Welt haben. Ihr Vortrag verschmolz mit den kraftvollen Worten der jungen deutschen Agrarökologin und Aktivistin Julia Bar-Tal, und schließlich endete der Abend mit der Stimme meiner Wenigkeit, der unsere Spiritualität und die Arbeit von U Yits Ka’an ebenso wie unsere Verbindungen zu den drei lebenserschaffenden Prozessen, die am Anfang dieses Textes vorgestellt wurden, mit allen teilte. Der Dialog fand im Rahmen des Tages von Mutter Erde statt, dem 22. April.


Es ist unglaublich zu erleben, wie die Geschichten, die aus unserer Maya-Region heraus erzählt werden, bei den Teilnehmer*innen anderer Völker und Kulturen Freude und Begeisterung hervorrufen. Das war auch bei Alexander der Fall, einem etwa 12 Jahre alten Jungen, der, als er die Geschichte von Kuxaán Su’um das erste Mal hörte so fasziniert war, dass er sich anbot, diese mythische Erzählung vor Publikum vorzutragen. Und das machte er dann auch: Alexander erzählte die deutsche Übersetzung der Geschichte und den dazugehörigen Reflexionen den unterschiedlichen Gruppen, die diesen Saal besuchten. Ähnliches ist mir auch mit Celia, einer Argentinierin, die seit mehr als 40 Jahren in Deutschland lebt, widerfahren. Nachdem sie über den Xook K’iin gelesen und gehört hatte, begann sie sich daran zu erinnern, wie ihre Mutter und Großmutter ihr von klein auf das Lesen und Beobachten der Sprache der Natur im Norden ihres Heimatlandes beibrachten. Und während sie mir eine Anekdote über ihre weise Mutter erzählte, die sie vor dem unmittelbar bevorstehenden Regen warnte, bemerkte ich das Glitzern in ihren Augen – eine Vorschau der erwachten Erinnerungen…Währenddessen liefen schmale Säulen von Regenwasser an den Fenstern des Gebäudes hinunter, als ob sie ihrer Geschichte zuhörten.  


Und tatsächlich liegt darin der Sinn der Ausstellung: nicht nur den Geist zu wecken, sondern auch die Erinnerung, das Herz, die Widerstandsfähigkeit und schließlich auch die Rebellion und den Mut, diese lebens-und hoffnungsbringenden Praktiken aufrechtzuerhalten. In diesem Sinne ist die Spore-Initiative wie ein Resonanzkörper, der jene fernen Stimmen verstärkt, die den Weg in eine gesunde Zukunft und ethische Ernährungsweise zeigen.


Es mag ein wenig paradox erscheinen, dass wir auf diese Räume zurückgreifen müssen, um diese Maya-Traditionen vorzustellen, während sie in ihrer alltäglichen Anwendung so fragil, und ständig dem großen Risiko ausgesetzt sind, von dieser Welt wissenschaftlicher und technologischer Entwicklungen verschluckt zu werden. Sei es durch Künstliche Intelligenz oder Megaprojekte, die unsere Erde und unser Maya-Territorium zur Ware machen. Wir sollten nicht vergessen, dass trotz all dieser sogenannten Fortschritte und Unternehmungen noch immer Millionen von Menschen weltweit an Hunger sterben. Grund dafür sind vor allem die nutzungsorientierte Sicht auf Mutter Natur und ein, auf Abhängigkeit, Ausbeutung und Naturzerstörung beruhendes Agrar-und Ernährungssystem.


Wir hoffen, dass auch andere ferne Stimmen – aus der Peripherie und von unterschiedlichen Indigenen Gemeinschaften – ebenfalls diesen belebten und resilienten Raum nutzen können, um ihre eigenen, lebensspendenden und hoffnungstragenden Lebens-und Arbeitsweisen zu teilen. So können wir uns weiterhin gegenseitig bereichern und mit den notwendigen Ressourcen ausstatten können, um den Stürmen trotzen zu können, denen wir in Zukunft begegnen werden.

Berlin – Deutschland. April 2023