Das Solar Maya als kollektiver Lernort
Das Solar Maya ist eine traditionelle Form den Hof um das Familienwohnhaus zu organisieren und landwirtschaftlich zu nutzen. Das Solar lässt sich als Mikrokosmos der Gesellschaften der Maya in Yucatán verstehen, in dem in Gemeinschaft gelebt wird und komplexe Beziehungen zur Natur entstehen. Das Colectivo Suumil Móokt'aan hat ein solches Solar als kollektiven Lernort innerhalb ihrer Gemeinschaft entwickelt:
Das Solar Maya ist eng mit unserem Territorium verbunden. Es ist der Ort, in dem Familien innerhalb der Gemeinschaft leben. Zusammen mit der Milpa steht es für eine Form der Lebensorganisation, die weit in unsere Geschichte zurückgeht.
Zur Förderung des kollektiven Lernens errichtete die Gruppe im Solar ein offenes Klassenzimmer, ein Haus für die einheimische Melipona-Biene, ein Saatguthaus, ein Trockentoilette und eine Gemeinschaftsküche. Beim Bau dieser einzelnen Elemente wurde auf traditionelle Baumethoden zurückgegriffen, die auch den gegenwärtigen klimatischen Herausforderungen gerecht werden. Am Bau des Solars waren verschiedene Generationen beteiligt; die Älteren der Gemeinde teilten ihr Wissen über traditionelle Materialien und Bautechniken, während sich die jüngeren Generationen mit verschiedenen Handwerkstechniken an dem Aufbau beteiligten.
Das xa'anil naj, unser Maya-Haus aus Palmblättern, hat sowohl eine kulturelle als auch eine funktionale Bedeutung, da es aus lokalen Materialien besteht, die für unsere klimatischen Bedingungen am besten geeignet sind. Indem wir das Maya-Haus wiederbeleben, geben wir ihm einen zentralen Platz in unserem Leben zurück.
Das Wissen über die verschieden lokalen Baumaterialien wie Bäume, Palmblätter und Lehm sowie über traditionelle Bauchtechniken wurde in diesem Prozess von den Älteren der Gemeinschaft an die jüngeren Generationen weitergegeben.
Die Beziehung zwischen dem Körper, dem Boden und der Umwelt bildet die Grundlage für den Workshop Nutriendo el cuerpo-territorio unter der Leitung von Álvaro Salgado, Mitglied von La Vía Campesina und dem Red en Defensa del Maíz (Netzwerk zur Verteidigung des Maiz). Der Workshop konzentrierte sich auf die Verwendung natürlicher Zusätze zum Boden, die dem Schutz der Artenvielfalt, der Pflanzen und der Gesundheit des Bodens und dadurch zum Anbau gesunder Lebensmittel dienen. Zu den Teilnehmenden gehörten junge und ältere Bewohner*innen Sinanchés sowie Vertreter*innen verschiedener agrarökologischer Initiativen. Im Gespräch tauschten sie sich über regionale Unterschiede in Bezug auf Böden, Verunreinigungen und den Zugang zu Wasser aus, diskutierten Auswirkungen industrieller Landwirtschaft und teilten Wissen über alternative Formen der Landwirtschaft. Neben den Gesprächen war auch der Austausch von praktischem Wissen zur Ermittlung der Bodenqualität und -gesundheit Teil der kollektiven Lernerfahrung. Auf der Grundlage dieses ersten Workshops wird es im Jahr 2022 eine Reihe von fünf weiteren Workshops zum Thema Agrarökologie geben.
Dieser Workshop wurde von dem Architekten Juan Casillas Pintor geleitet und nutzte für den Bau einer Trockentoilette Paakluum, eine traditionelle Wandbautechnik, bei der lokale Materialien verwendet werden. Er zielte darauf ab, das Bewusstsein für die Vorteile der Arbeit mit lokalen Materialien zu schärfen, sowie die erhöhte Widerstandsfähigkeit dieser traditionellen Bauweisen im Kontext von Klima- und Umweltkrisen zu beleuchten. Die Trockentoilette als angewandte Umwelttechnologie ist Teil der Arbeit, die das Colectivo Suumil Móokt'aan leistet, um das Wasser zu regenerieren:
Während uns das Wasser heilig ist, betrachten die großen Konzerne es als bloße Ressource mit der sie wirtschaftliche Gewinne erzielen können. Das Wasser wird verschmutzt durch Massentierhaltung, Immobilienprojekte, exzessiven Tourismus sowie durch eine Regierungspolitik, die den Bau unzureichender Sanitärsysteme erlaubt, die unser Wasser zutiefst schädigen.
(Broschüre, Colectivo Suumil Móokt'aan)
Die Trockentoilette gemeinsam mit Systemen zum Sammeln von Regenwasser und zur natürlichen Reinigung von Grauwasser schafft einen geschlossenen Wasserkreislauf im Solar.
Als zentraler Teil des Solars wurde eine Gemeinschaftsküche errichtet, die ebenfalls in traditioneller Bauweise gebaut wurde. Im Solar ist die Gemeinschaftsküche ein zentraler Ort, an dem man sich über lokale kulinarische Traditionen austauscht, Ideen, Wissen und Erfahrungen weitergeben werden, und das gemeinsame Kochen und Essen mit dem Erzählen von Geschichten verbunden wird. Hier teilen zum Beispiel ältere Frauen ihr Wissen über traditionelle Rezepte und lokale Zutaten und erzählen von ihrer Beziehung zur Milpa und zum Solar.
Für uns ist es lebenswichtig, die Milpa zu kultivieren und so verschiedene einheimische Samen zu bewahren und lokale Gemüsesorten wiederzubeleben.
Das Sammeln, Lagern und Tauschen von Saatgut von Pflanzen, die traditionell in der Milpa angebaut werden, spielt eine zentrale Rolle für die Ernährungssouveränität der Maya. Kern der Milpa ist die sich wechselseitig unterstützende Pflanzengemeinschaft von Mais, Bohnen und Kürbissen, den sogenannten drei Schwestern. Dieses komplexe landwirtschaftliche System wird von Maya-Gemeinschaften schon seit tausenden Jahren kultiviert und an die jeweiligen lokalen und kulturellen Bedingungen angepasst. Das Ernährungssystem der Maya in Yucatan kennt 100 bis 250 verschiedene Sorten von Kulturpflanzen. Diese Vielfalt wird durch den kontinuierlichen Anbau des einheimischen Saatguts erhalten. Der Bau eines traditionellen Saatguthauses im Solar ermöglicht den Erhalt dieser Sorten und den Austausch mit anderen Gemeinschaften.
"Die Fürsorge für die einheimischen Bienen ist ein wesentlicher Bestandteil unseres Fühlens und Denkens in der Welt der Maya.", heißt es in einem Text des Colectivo Suumil Móokt'aan. Über Jahrtausende hinweg ist enge Beziehung zwischen den Menschen und der Melipona-Biene entstanden, die eine zentrale Rolle in der Kultur der Maya einnimmt. Die einheimischen Bienen sind zunehmend durch die Zerstörung der Wälder, die Pestizide und den Verlust der Artenvielfalt bedroht. Das Kollektiv hat ein Bienenhaus gebaut, um sich um die einheimischen Bienenarten zu kümmern und das Wissen über ihre Haltung und die Verwendung von Honig, Pollen und Propolis für die Heilung von Krankheiten zu fördern:
Indem wir mit den Melipona-Bienen, den Xunáan Kaab, eine Beziehung wechselseitiger Sorge eingehen, schützen wir das Gebiet, in dem wir leben.
Im Workshop vermittelte Ángel Kú jungen Bewohner*innen aus Sinanché eine ressourcenschonende Zementtechnik. Die Zisternen-Konstruktion dient dem Auffangen von Regenwasser im Solar. Der Schutz des Wassers ist eines der zentralen Ziele des Colectivo Suumil Móokt'aan: "Die Weisheit der Maya ist mit der Sorge um das Wasser verwoben und bildet einen heiligen und wichtigen Teil unseres Lebens, unserer Zeremonien und unserer Spiritualität." Unter dem Kalkstein der Halbinsel Yucatán befindet sich eines der größten Grundwasserreservoirs der Erde. Die örtlichen Cenoten bieten Zugang zu dieser Wasserquelle. Das Grundwasser ist jedoch zunehmend durch Privatisierung und das Einleiten von Abwässern aus Urbanisierung, Tourismus und der industriellen Schweinezucht bedroht. Die Zisterne dient ebenso wie die Trockentoilette und ein natürlicher Grauwasserfilter dem Schutz des Wassers und bietet der Gemeinschaft praktische und erschwingliche Optionen der Wasserversorgung ohne das Grundwasser zu verunreinigen.