Ich erinnere mich, dass es vor 50 Jahren Regen und Schädlingsbefälle gab, die unser Dorf in Mitleidenschaft gezogen haben, aber damals hatten meine Mutter und meine Großmutter ausreichend Felder bestellt und verfügten über Saatgutvorräte. Und sie wussten, wie sie mit der Situation umzugehen hatten, weswegen wir überlebten, als ob nichts gewesen wäre. 2010 hingegen, als uns ein heftiger Wirbelsturm heimsuchte und obgleich wir Geld hatten, waren die Straßen blockiert, die Läden ausverkauft und unsere wenigen bestellten Felder zerstört. Uns blieb nichts übrig, als höhergelegene Dörfer in den Bergen aufzusuchen, um dort Mais zu kaufen. Damals habe ich mich gefragt, ob ich mich überhaupt eine Bäuerin nennen durfte und empfand Scham, mich nicht selbst ernähren zu können. Ich habe mich gefragt, wie wir die Fähigkeit verloren haben, solche Extremereignisse zu überleben, wie wir sie in meiner Kindheit hatten …

(Susana, aus: Martinez-Cruz et al. 2020)

Bild: Matías Hoil Tzuc

Der Xook K’iin (eine Methode zur Wettervorhersage) ist wichtig für mich, weil ich mich jetzt – auch wenn ich ihn erst wieder erlernen musste – an das Klima anpassen kann und weiß, wann ich den Mais aussäen muss und welchen Mais (welche Sorte). Der Mais ist wichtig, weil er die Grundlage unserer Ernährung darstellt. Dieses Jahr säten wir beispielsweise verschiedene Maissorten aus, einige Frühsorten und einige Spätsorten. Der Xook K’iin sagte uns, wann wir was auszusäen hatten. Und obwohl der Wirbelsturm unsere Maispflanzen beschädigt hat, hatten wir die frühe Sorte bereits abgeerntet und die späten Sorten hatten bereits geblüht und Früchte angesetzt. Aus diesem Grund waren wir nicht sonderlich betroffen, denn im Gegensatz zu anderen hatten wir ausreichend Mais. Wie Don Francisco sagt, hilft uns der Xook K’iin dabei, unseren landwirtschaftlichen Kalender und uns selbst entsprechend aufzustellen.

(Interview mit Matias Hoil Tzuc 2022)

Ernährung als Grundlage für die Gesellschaft und das Leben Indigener Völker

Geschichtlich gesehen waren komplexe Gesellschaften immer von ihrer Fähigkeit abhängig, Lebensmittel zu erzeugen und die Bevölkerung mit ausreichend Nahrung zu versorgen. Deswegen ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie zumeist am Rande großer Gewässer oder fruchtbarer Landschaften entstanden, wie es am Nil oder bei den Mayas auf der Yucatán-Halbinsel der Fall war. Was entscheidend zur Resilienz vieler Indigener Völker beitrug, war ihre Fähigkeit, die Zyklen ihrer Territorien zu verstehen, zu wissen, was sie essen konnten, was sie als Medizin, Dachmaterial, Bekleidung oder Brennstoff nutzen konnten.

 

Wir leben im Jahr 2022 in einer Zeit der Konflikte – mit Vertreibungen, der Klimakrise und den Nachwirkungen der Covid-19-Pandemie. Was die Ernährungsfrage angeht, so haben wir im Zuge der Pandemie mindestens zwei Probleme erkannt: Die Art und Weise, wie wir uns ernähren, ist nicht nachhaltig, denn das aktuelle Landwirtschaftsmodell verursacht 30 Prozent der weltweiten Treibhausgase bei (Fanzo und Downs 2021) und ist für 80 Prozent der globalen Abholzungen verantwortlich (FAO 2017). Dieses als „Grüne Revolution“ bekannte Modell entstand in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, und beinhaltete die Intensivierung der Landwirtschaft durch verbessertes Saatgut und den Einsatz von chemischen Düngemitteln sowie die Priorisierung eines erhöhten Ertrags pro Düngereinheit. Im Namen der Wissenschaft und der Ernährungssicherheit hat dieses Modell dazu geführt, dass die ökologischen Grenzen ausgereizt wurden (Cordillo und Méndez Jerónimo 2013).

 

Das vorherrschende Landwirtschaftsmodell setzt vor allem auf den Anbau dreier Pflanzen, die 60 Prozent der Kalorien dieser „optimierten“ Ernährung ausmachen: Weizen, Mais und Reis. Zusammen mit 25 anderen Pflanzen tragen diese drei Kulturpflanzen zu 90 Prozent der Kalorien der weltweiten Ernährung bei (Chivenge et al. 2015). Was ist jedoch das Risiko einer Abhängigkeit von so wenigen Kulturpflanzen? Man braucht sich bloß vorzustellen, was passieren würde, wenn ein Schädling, eine Krankheit oder ein Extremwetterereignis jene Länder heimsuchen würde, die diese Kulturpflanzen hauptsächlich anbauen: die gesamte Welt würde darunter leiden. Als es zum Beispiel in den Jahren 1876–1878 zu verschiedenen Dürren in Asien, Brasilien und Afrika kam, verursachte das massive Ernteausfälle. In der Folge verhungerten 50 Millionen Menschen (Singh et al. 2022). Heute wird davon ausgegangen, dass der Klimawandel in den kommenden Jahren Extremwetter und dadurch Ernteverluste bewirken wird (ebd.). Eine Alternative zu dieser Konzentration von Nutzpflanzen stellen Ernährungssysteme Indigener Völker dar, die in einer einzigen Region mehr als 250 verschiedene Kulturpflanzen anbauen (FAO, Bioversity International und CIAT 2021), was ihnen eine viel größere Resilienz verleiht als Systemen, die nur auf wenigen Kulturpflanzen beruhen. Und tatsächlich ist es so, dass viele Aspekte der modernen Wissenschaft auf Indigenem Wissen oder Indigenen Pflanzen beruhen (Terán und Rasmussen 2009).

 

Allerdings ist uns bewusst, dass Ernährungssicherheit kein Produktionsproblem ist, denn während 811 Millionen Menschen auf der Welt Hunger leiden, sind 1,9 Milliarden Erwachsene übergewichtig (WHO 2021). Obwohl also sehr viele Ressourcen in die Forschung und Entwicklung gesteckt wurden, haben wir den Planeten dennoch an seine ökologischen Grenzen gebracht. Daher stellt sich uns die Frage: Gibt es Alternativen, um Nahrungsmittel zu erzeugen und uns gleichzeitig um den Planeten zu kümmern?

Es ist an der Zeit, die Dinge anders anzugehen, andere Formen des Wissenserwerbs und der Wissenschaft zu erlernen. Es ist an der Zeit, von den Indigenen Völkern zu lernen, von ihren Praktiken und Kenntnissen, die sie im Laufe vieler Jahre so widerstandsfähig gemacht haben. Für die Indigenen Völker ist die Erzeugung von Nahrungsmitteln nicht alleine eine Produktionsfrage, sondern eine Form, mit der Natur in Verbindung zu treten, eine gegenseitige Fürsorge. Es geht um wechselseitige Beziehungen; darum, das Leben auf andere Weise zu verstehen und die Natur in den Mittelpunkt zu stellen.

Indigene Völker als Expert*innen der Anpassung

In den Worten des Kollektivs Futuros Indígenas sind Indigene Völker lebende Alternativen zur Klimakrise, weil sie über Jahrtausende hinweg ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt haben, sich an unterschiedliche Umweltbedingungen und Veränderungen anzupassen (Mendoza-Jimenez et. al 2022). Wer sind jedoch die Indigenen Völker? Den Vereinten Nationen zufolge sind dies

 

Indigene Gemeinschaften, Völker und Nationen, die eine historische Kontinuität mit den Gesellschaften aufweisen, die vor der Invasion und Kolonisierung auf ihren Territorien entstanden und sich von anderen gesellschaftlichen Strukturen, die heute in diesen Gebieten oder Teilen davon dominieren, abgrenzen. Sie bilden heute keinen vorherrschenden Teil der Gesellschaft und sind bestrebt, ihre angestammten Gebiete und ethnische Identität als Grundlage für ihren Fortbestand als Völker zu bewahren, zu entwickeln und an künftige Generationen weiterzugeben, und zwar im Einklang mit den eigenen kulturellen Traditionen, sozialen Einrichtungen und Rechtssystemen.

(Vereinte Nationen 2013: 6)

 

Im Kontext dieses Beitrags definieren wir sie als Völker mit eigener Geschichte, Zeitvorstellungen, Territorien, Sprachen und Weltsichten, die sie einzigartig machen. Zudem teilen sie die Erfahrung, kolonisiert worden zu sein.

 

Das Wissen der Indigenen Völker und ihre Lebensweisen machen sie zu Hüter*innen von 80 Prozent der Biodiversität des Planeten auf weniger als 25 Prozent der Landfläche der Erde (Sobrevila 2008) und das, obwohl sie nur 6 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Das sind etwa 476 Millionen Menschen (Dhir et al.  2020), die sich auf mehr als 90 Länder und auf sieben soziokulturelle Regionen verteilen. Indigene Völker leben beispielsweise in den Trockengebieten des Tschad, in den kalten Landschaften der Arktis und den tropischen Waldgebieten der Yucatán-Halbinsel. Sie kennen ihre Territorien bis ins Detail und wissen, was sie ihrer Umwelt entnehmen können: Welches Brennholz sie nutzen, denn nicht jedes Holz brennt auf dieselbe Weise, welche Früchte sie zu welcher Jahreszeit und abhängig davon ernten, ob sie für medizinische Zwecke oder die Ernährung gebraucht werden, ohne sich zu vergiften. Oder sei es, um ihre Häuser zu bauen, ihre Rituale durchzuführen und ihre Kleidung oder ihre Kunst herzustellen. Als Honigproduzent*innen und als Milperos  und Milperas (Kleinbäuer*innen, die Mais gemeinsam mit anderen Kulturpflanzen in einem komplementären Landwirtschaftssystem anbauen) haben die Maya wechselseitige Prozesse geschaffen, in denen die Bienen von der Milpa und die Milpas von den Bienen abhängig sind. Die Beobachtung der Himmelskörper, der Wolken, des Verhaltens von Pflanzen, Tieren und Insekten sowie das Verständnis des Klimas und der Zyklen im eigenen Territorium waren entscheidend für die Entwicklung dieser Strategien und Lebensgrundlagen. Obwohl sie in der Vergangenheit und aktuell Unterdrückung, Marginalisierung und sozialer Ausgrenzung unterworfen werden, sind die Maya auch heute noch weltweit das beste Beispiel für Strategien der Anpassung an ihre Umgebung.

 

 

Die Bedeutung der Sprachen für die Wahrung des Wissens Indigener Gemeinschaften

Indigenen Sprachen kommt eine entscheidende Bedeutung zu, wenn es darum geht, das Wissen zu bewahren, das die Indigenen Völker zu Expert*innen der Resilienz, das heißt der Widerstandsfähigkeit gemacht hat. Stellen wir uns vor, dass Sprache, so wie Wasser, für alle Prozesse lebenswichtig ist. Dann würde das Wissen der Völker wie das Wasser in einem Fluss fließen, der viele Gegenden eines Landes kennengelernt, sich angepasst hat und über viele Jahrhunderte hinweg existiert. Damit dieses Wissen weiter fließen und Leben hervorbringen kann, braucht es einen Boden, ein Bett oder einen Weg. Stellen wir uns weiter vor, dass es die Indigenen Völker sind, die dieses Bett, diesen Weg anlegen, und dass es, damit er weiterhin Leben spendet, weitere Hände braucht, die noch mehr Wege und Flussbetten schaffen. Da das menschliche Leben aber begrenzt ist, ist die Weitergabe dieses Wissens zwischen den Generationen entscheidend, weswegen die jungen Menschen von zentraler Bedeutung sind. Eine Sprache lebt, wenn ihre Sprecher*innen leben, und solange diese leben, lebt auch das Wissen weiter, das diesen Planeten widerstandsfähig gemacht hat.

 

Dieses Wissen ist an das Territorium gekoppelt und wird im Laufe der Zeit von einer Generation an die nächste weitergegeben, wodurch eine wechselseitige Abhängigkeit entsteht. Beispielsweise wurde während der Kolonialzeit in Mexiko Mais in viele Regionen der Welt exportiert. Doch obwohl Mais eine anpassungsfähige Kulturpflanze ist (in Mexiko existieren 63 einheimische Maissorten, die sich von trockenen bis zu fruchtbaren Böden an viele unterschiedliche Bedingungen angepasst haben), lieferte er außerhalb von Lateinamerika einen geringeren Nährstoffgehalt (Baker 2013: 20), weil dieser sich nicht nur aus der Milpa, sondern auch aus den mehr als 600 Formen der Maisverarbeitung und der Kombination mit anderen Nahrungsmitteln ergibt (El Poder del Consumidor 2017). Insofern ist das Territorium wie ein Zuhause und elementare Basis für die Aufrechterhaltung des Wissens und der Lebensstrategien, die die Existenz dieser Völker ermöglicht haben. Vertreibungen aus oder Veränderung ihrer Territorien haben die Ernährungssicherheit der Indigenen Gemeinschaften dementsprechend gravierend beeinträchtigt (Kuhnlein 2018).

 

Es heißt, dass wenn eine Sprache stirbt, weil ihre Sprecher*innen sterben, mit ihnen auch das Wissen stirbt, das diesen Planeten widerstandsfähig gemacht hat, und die Fähigkeit, die biologische Vielfalt der Welt zu erhalten. Der gesamte Planet ist dann gefährdet. Von den 6.900 Sprachen, die aktuell auf der Welt existieren, werden 4.000 von Indigenen Völkern gesprochen. 40 Prozent der Sprachen sind vom Aussterben bedroht, Schätzungen zufolge verschwindet alle 3,5 Monate eine Indigene Sprache (Rogers und Campell 2015). Laut dem UNESCO International Institute for Higher Education in Latin America and the Caribbean werden bis Ende des Jahrhunderts mehr als 3.000 Sprachen ausgestorben sein (IESALC 2022). Manche Studien legen nahe, dass die linguistische und die biologische Vielfalt miteinander zusammenhängen, denn 70 Prozent der Sprachen werden heute auf 24 Prozent der Erdoberfläche gesprochen, die als Regionen mit hoher Biodiversität gelten (Gorenflo et al. 2012). Leider ist es so, dass Sprachen nicht von allein sterben. Sie sterben, wenn politische Maßnahmen getroffen werden, die kein Verständnis für den Wert ihrer Sprecher*innen, der Sprache selbst und des darin enthaltenen Wissens haben. Sie sterben im Zuge der Diskriminierung, der Indigene Völker historisch ausgesetzt waren und immer noch sind, und Sprachen sterben, wenn Indigene Völker durch infrastrukturelle Megaprojekte verdrängt werden. Denn obgleich Indigene Völker Rechte auf 50 Prozent der weltweiten Landfläche beanspruchen, haben sie nur für 10 Prozent die formalen Nutzungsrechte (Gjefsen 2021). 25 Prozent dieser Indigenen Territorien sind außerdem dem konstanten Druck der industriellen Verwertung ausgesetzt: unter anderem für erneuerbare Energien, Erdgas, Erdöl, Bergbauaktivitäten und die Landwirtschaft (Kennedy et al. 2022). Weltweit werden jedes Jahr mehr als 200 Umweltaktivist*innen im Namen der Entwicklung ermordet, und 60 Prozent von ihnen gehören Indigenen Völkern an (Global Witness 2020). Manche solcher Entwicklungsprojekte auf der Yucatán-Halbinsel stehen beispielsweise im Zusammenhang mit dem Tren Maya oder mit der Einführung von genetisch modifizierten Sojapflanzen, die aufgrund des übermäßigen Pestizideinsatzes ein Risiko für Bienenvölker darstellen.

Die Milpa der Maya und die Biodiversität

Wie von Matías Hoil Tzuc bereits angeführt, stellen der Mais und die Milpa zentrale Elemente im Leben der Maya in Yucatán dar und sind eng mit ihrer Ernährungssouveränität verknüpft. Vielen mag die Milpa als sehr einfache Methode erscheinen. Tatsächlich handelt es sich aber um ein überaus komplexes Landwirtschaftssystem, dessen Herzstück der Mais ist. Es gibt keine standardmäßige Definition für die Milpa, aber allgemein lässt sich sagen, dass sie außer Mais noch Bohnen und Kürbisse umfasst: die sogenannten drei Schwestern. Der Mais bietet den Bohnen, die eine Pflanze zum Klettern brauchen, Halt. Die Bohne bindet Stickstoff, und der Kürbis verringert mit seinen Blättern die Bodenerosion durch Wasser oder Wind. Im Fall der Yucatán-Halbinsel ist die Milpa darüber hinaus eng mit Bienen und der Honigproduktion verbunden. Die Maya stellen ihre Bienenstöcke nahe der Milpa auf, um sicherzustellen, dass die Bienen selbst in der Trockenzeit, wenn die Bäume nicht rechtzeitig blühen, Blüten in ihrer Nähe finden, um ihren Lebenszyklus fortsetzen zu können. Gleichzeitig ermöglicht Honig ihnen ein zusätzliches Einkommen, das in die Milpa investiert werden kann. Dementsprechend trägt auch er wesentlich zur Ernährungssicherheit bei. Einer Untersuchung von FAO, Biodiversity International und CIAT (2021) zufolge können die Milpas der Maya in Guatemala bis zu 143 Pflanzen umfassen, wovon 101 als Nahrung dienen. Im Fall von Yucatán finden sich in den Territorien und Milpas der Maya Ernährungssysteme mit zwischen 100 und 250 verschiedenen Pflanzenarten (Toledo et al. 2008). In manchen Fällen wurden außerdem bis zu 329 Heilpflanzen gezählt, die die Maya anhand ihres Geruchs und Geschmacks bestimmen können (Ankli et al. 1999).

 

Matías Hoil Tzuc, der gerade die Praktiken seiner Eltern und Großeltern neu erlernt, berichtet, dass er Verbesserungen an seinem Maisanbausystem vorgenommen und trotz eines kürzlichen Wirbelsturms noch immer Mais vorrätig hat, sowohl als Ernteertrag als auch in Form von früchtetragenden Pflanzen. Er erzählt auch, dass das Wissen über oder das erneute Kennenlernen seiner Umgebung es ihm ermöglicht hat, den Xook K’iin zu verstehen und anzuwenden – eine Methode zur Wettervorhersage, durch die er landwirtschaftliche Zyklen planen kann und weiß, was er wann und wo aussäen sollte. Das Verständnis des eigenen Territoriums ist demnach von zentraler Bedeutung, um die eigene Milpa sowie deren Biodiversität aufrechtzuerhalten und die Ernährungssouveränität von Maya-Familien wie der von Matías Hoil Tzuc zu sichern.

 

 

Wie die Maya ihr Verständnis des Territoriums für die Entwicklung von Resilienzstrategien nutzen

 

 

Matías Hoil Tzuc ist auf der Yucatán-Halbinsel und damit in einer Region zu Hause, die regelmäßig von Wirbelstürmen heimgesucht wird. Üblicherweise entstehen diese Stürme über dem Atlantischen Ozean und wandern dann über das Karibische Meer, bis sie auf die Yucatán-Halbinsel treffen (Camacho-Villa et al. 2021). Die Yucatán-Halbinsel ist Teil eines der wichtigsten und größten Waldgebiete Mexikos, das sich mit einer Fläche von 13 Millionen Hektar über die mexikanischen Bundesstaaten Yucatán, Campeche und Quintana Roo sowie über Teile von Belize und Guatemala erstreckt. Dieses Waldgebiet beherbergt viele vom Aussterben bedrohte Arten und ist seit mehreren Jahrtausenden Heimat der Maya (Varns 2018). Deswegen ist das Waldgebiet auch für die übrige Welt von großer Bedeutung. Es heißt, dass die Maya seit Beginn ihrer Zivilisation über umfassendes Wissen ihrer Umwelt verfügen, welches sie zum Abmildern der Auswirkungen von Extremwetterereignissen nutzen und in den Milpas anwenden, deren Anbau eine so zentrale Rolle in ihrem Leben spielt (Guzmán Noh und Rodríguez Esteves 2016).

 

So waren sie beispielsweise Expert*innen im Wasserbau und nutzten Cenotes [Karsthöhlen mit Grundwasserzugang, Anm. d. Übers.] als Wasserspeicher und entwickelten andere Systeme zum Auffangen von Regenwasser. Dazu zählen etwa Flachbrunnen oder Chultunes, unterirdische Zisternen mit einem Fassungsvermögen von mehr als 25.000 Litern, die in Trockenzeiten verwendet wurden, um den Wasserbedarf der Familien und der restlichen Bevölkerung zu decken. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die ovale Form ihrer Häuser, die dazu führt, dass Wirbelstürme weniger Angriffsfläche haben. 2002 verursachte der Wirbelsturm Isidoro mehr Schäden an Häusern mit einer rechteckigen Form. Ein weiteres Beispiel ist die geografische Lage ihrer Siedlungen, die zumeist landeinwärts und selten an der Küste erbaut werden, um sich nicht den Auswirkungen von Wirbelstürmen auszusetzen. Viele ihrer Anbauflächen befanden sich jedoch außerhalb der Dörfer und waren durchaus von wechselnden klimatischen Bedingungen betroffen (Mariaca Méndez 2015). Matías Hoil Tzuc berichtet zum Beispiel, dass in vielen Fällen kreisförmig um die Häuser angelegte Milpas (sogenannte Maya Solares) heute in die oberen Bergregionen verlagert werden, um die Auswirkungen der Klimaschwankungen abzumildern.

 

In den letzten 100 Jahren war die Yucatán-Halbinsel regelmäßig von Extremwetterereignissen betroffen. Ein Regierungsbericht von 2014 kommt zu dem Schluss, dass mindestens 86 verschiedene Ereignisse dieser Art die Halbinsel heimsuchten (Gobierno del Estado Yucatán 2014). Die Dürren sind intensiver geworden und halten länger an, was verheerende Auswirkungen auf die Bäuer*innen (Metcalfe et al. 2020) sowie die Subsistenz- und Milpa-Landwirtschaft der Maya in der Region hat. Wie im vorherigen Abschnitt aufgezeigt, hängt die Vulnerabilität der Maya mit dem Klimawandel, aber auch mit Landraub und der Umweltzerstörung in ihren Territorien zusammen (Schneider und Haller 2017).

 

Seit Jahren wird in der Forschung darüber debattiert, wie es einer so alten Kultur wie der der Maya mit ihrer 3.000-jährigen Geschichte gelingen konnte, in einer derart widrigen Umgebung zu überleben. Eine der Theorien besagt, dass sie dank ihres spezifischen Wissens sowie des ganzheitlichen Umgangs mit ihrer Umwelt und ihrer Kosmovision überleben konnten (Barrera-Bassols und Toledo 2005). Die Kultivierung ihres Landes umfasste bis zu sechs verschiedene Nutzungsarten (Toledo et al. 2008): von Parzellen für Gemüse über heute noch praktizierte Maya Solares bis hin zu komplexen Bewirtschaftungssystemen mit Bäumen, aus denen ausgewachsene Wälder hervorgegangen sind, die in Kombination mit der Roza y tumba [einer Form der Brandrodung, Anm. d. Übers.] das Ökosystem dabei unterstützen, sich zyklisch zu erneuern.

Bild: Matías Hoil Tzuc

Wie Maya den Xook K´iin für ein Verständnis der zeitlichen Abläufe von Klimaereignissen nutzen

 

 

Bisher wurde gezeigt, dass die Milpa ein grundlegendes Element dafür gewesen ist, die Ernährungssouveränität und Lebensweisen der Maya in einer Umgebung zu etablieren, die großen klimatischen Veränderungen unterworfen ist. Dafür war und ist es weiterhin zentral, das eigene Territorium zu beobachten und ein tiefgreifendes Verständnis davon zu entwickeln. Eine der Ausdrucksformen dieses Verständnisses und des damit verbundenen Indigenen Wissens, durch das die Maya im Verlauf der Zeit überleben konnten, ist der Xook K’iin. Er ähnelt einer Methode, die in einigen Regionen Spaniens und Südfrankreichs auch als Cabañuelas bekannt ist (Fuentes Blanc und Fuentes Blanc 2013). Laut Bernabé Caamal Itzá (2022), Agrarwissenschaftler und Experte für den Xook K´iin, handelt es sich dabei um eine Methode zur Wettervorhersage, die sich durchaus mit der Umweltbeobachtung in der westlichen Wissenschaft vergleichen lässt, da in beiden Fällen die Beobachtung und die mündliche oder schriftliche Dokumentation wesentlich sind, um Vorgänge in der Umwelt zu beschreiben und zu verstehen. Indigene Völker, und insbesondere die Maya, die Xook K’iin praktizieren, planen große Ereignisse auf Grundlage dieses Verständnisses ihrer Umwelt – und zwar nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in Bezug auf das Leben selbst.

 

Allgemein lässt sich sagen, dass der Xook K’iin auf der Beobachtung der ersten zwölf Tage des Jahres beruht, wobei die Anzahl der Tage je nach Familie und Gemeinschaft variieren kann. Jeder Tag entspricht einem Monat, der Tagesverlauf wird von 6 bis 18 Uhr beobachtet und aufgezeichnet. Die ersten Stunden des Tages entsprechen einer Vorhersage darüber, wie die ersten Tage des betreffenden Monats ausfallen werden, der Mittag, wie es um die Monatshälfte bestellt ist, und das Ende des Tages zeigt an, wie die Wetterbedingungen am Ende des Monats sein werden. Mit Hilfe des Xook K’iin kann bestimmt werden, welche Böden wann bestellt werden können, in welchem Moment welche Maissorte ausgesät werden sollte, und wann der richtige Zeitpunkt für die Durchführung von Ritualen ist. Der Großteil dieser Aktivitäten ist mit der Vorhersage von Regen verbunden. Der Xook K’iin wird zudem mit anderen Methoden wie der Beobachtung von Bioindikatoren kombiniert, wodurch die Vorhersage wesentlich genauer wird. Die Vorhersage des Xook K’iin zu Beginn des Jahres wird im Laufe der Zeit und mithilfe von Bioindikatoren noch einmal überprüft, um den landwirtschaftlichen Kalender und die jeweiligen Aktivitäten gegebenenfalls anzupassen. Bernabé Caamal Itzá beispielsweise hat die Vorhersagen zu Anbauzyklen, die mit Hilfe des Xook K’iin getroffen wurden, mehr als zwölf Jahre lang ausgewertet und in Echtzeit nicht nur mit Bioindikatoren, sondern auch mit meteorologischen Daten abgeglichen. Dadurch kam er zu dem Ergebnis, dass der Xook K‘iin eine Vorhersagegenauigkeit von bis zu 70 Prozent aufweist. Es gibt aber auch verschiedene Stimmen innerhalb der Maya, die die Genauigkeit des Xook K’iin anzweifeln, sei es aufgrund der Wechselhaftigkeit des Wetters oder weil die Auswirkungen des Klimawandels mittlerweile deutlich stärker spürbar sind.

 

Aber gerade für Menschen wie Bernabé Caamal Itzá  oder Matías Hoil Tzuc bieten die Bioindikatoren die Möglichkeit, ihre Kalender in Echtzeit anzupassen, denn die Zeitläufe gibt die Natur selbst vor. Bernabé Caamal Itzá weist darauf hin, dass die Vorhersagen eines landwirtschaftlichen Kalenders wichtig sind, weil sie ermöglichen, zu bestimmen, was wo gesät werden soll. Im Rahmen des Regenfeldbaus der Milpa, die vom Wetter abhängig ist, kann man anhand der Wettervorhersage entscheiden, welche Samen ausgebracht werden, ob es frühe, mittlere oder späte Sorten sind oder ob sie andere relevante Eigenschaften benötigen. Diese Entscheidungen werden dann mit Beobachtungen von Umwelt und Bioindikatoren weiter verfeinert. Ähnlich äußert sich Matias Hoil Tzuc, der erzählt, dass im vergangenen Jahr mehrere seiner Nachbar*innen ihre Ernte verloren haben, weil sie nicht in der Lage waren, den besten Zeitpunkt für die Aussaat zu bestimmen und die Auswirkungen der Wirbelstürme für sie verheerend waren. Matías Hoil Tzuc selbst hatte verschiedene Parzellen mit unterschiedlichen Sorten bepflanzt, und den Zeitpunkt der Aussaat anhand des Xook K’iin und weiteren Beobachtungen seiner Umwelt und der Bioindikatoren bestimmt. Obgleich der Wirbelsturm auch seine Milpa-Felder traf, hatte er keine nennenswerten Verluste zu beklagen, weil er bereits genügend Mais geerntet hatte. Somit stehen ihm jetzt ausreichend Mais und weitere Milpa-Erzeugnisse für seine Familie zur Verfügung.

 

Bernabé Caamal Itzá und Matías Hoil Tzuc, zwei Angehörige der Maya, arbeiten daran, das Wissen der Maya – insbesondere zum Xook K’iin – neu zu beleben. Caamal Itzá tut dies im Rahmen eines Kollektivs, in dem er den Xook K’iin mit anderen bekannten Beobachtungsmethoden wie den Bioindikatoren kombiniert. Wenn Ameisen beispielsweise damit anfangen, ihre Eier zu verlegen, sagt das für die nächsten Tage Regen voraus (Caamal Itzá 2022, Camacho-Villa et al. 2021). Wenn die Ameisen anfangen, Nahrung zu sammeln, zeigt das eine länger währende Trockenphase an. Wenn um die Sonne ein roter Lichthof zu sehen ist, wird es Dürre geben, und wenn der Lichthof weiß ist, wird es bald regnen. Wenn die Maya beobachten, dass sich der Himmel auf bestimmte Art bedeckt, sagen sie eine Kaltfront mit starken Regenschauern in den nächsten drei oder vier Tagen voraus und wissen, dass sie umpflanzen oder die Aussaat vornehmen müssen. Andere Faktoren sind die Beobachtung der Blüte oder des Fruchtansatzes bestimmter Pflanzen. So verweisen etwa üppige Fruchtstände des Ceiba-Baums auf eine reichhaltige Ernte.

 

Ebenso wie für Susana und Matías Hoil Tzuc geht es Bernabé Caamal Itzá bei der Wiederaneignung Indigenen Wissens darum, die Nachhaltigkeit und das Überleben der eigenen Kultur zu sichern. Im Laufe der Zeit ist viel Wissen verloren gegangen. Aktuell wird dieses Wissen jedoch wiederbelebt, da die Indigenen Völker verstanden haben, dass ihre Überelebensfähigkeit ohne dieses Wissen eingeschränkt ist.

Der Wert der Kosmovision und der Reziprozität für Indigene Weltsichten

 

 

Die eigene Identität und ein Gefühl von Zugehörigkeit sind für viele Indigene Völker auf der ganzen Welt von größter Bedeutung, und Maya sind da keine Ausnahme. Interpretationen des Popol Vuh, der heiligen Schriften der Maya, beschreiben, wie der Mensch aus Mais entstanden ist. Sie erklären aber auch dessen große Bedeutung als Kulturpflanze: Mais bildet die Grundlage ihrer Ernährung (Tedlock 1996).

 

Da Klimaschwankungen ein beständiges Element der Geschichte der Maya sind, spielten traditionelle Priester eine zentrale Rolle bei der Durchführung von Ritualen, in denen sie um Regen für eine reichhaltige Ernte und somit für ein reichhaltiges Leben selbst baten (Love 2011). In Chroniken werden kollektive Feiern beschrieben, bei denen Priester das Wetter für die kommenden landwirtschaftlichen Zyklen vorhersagten (de Landa 1959). Diese Feste werden ungeachtet der anhaltenden Kolonisierung weiterhin gefeiert, weil der Regen für die Milpa lebenswichtig ist, und die Milpa für das Leben. Heute werden sie jedoch von den Ältesten angeleitet. Bei Zeremonien wie Ch’a’ Cháak bitten die Maya die für den Regen verantwortlichen Götter und Göttinnen*innen um Wasser für eine ertragreiche Milpa. Heute stehen mit Übernahme der katholischen Religion deren Gott und die Jungfrau im Zentrum der Zeremonie. Sie sind an die Stelle der Sonne (Itzamná) und des Mondes (Ixchel) getreten, die nach der Kosmovision der Maya mit der Erschaffung der Welt in Verbindung stehen. Andere kleinere Gött*innen wie die Metansayao’ob – Hüter*innen der Cenotes – werden ebenfalls eingeladen. Denn sie entscheiden darüber, ob die anderen Gött*innen den Cenotes Wasser entnehmen dürfen, um es regnen zu lassen. Ebenfalls eingeladen sind die Metanlu’umo’ob, Gött*innen, die Macht über jene Tiere haben, die der Milpa schaden, weshalb diese Gött*innen Ernteverluste verhindern können. Auch die Yum kaxo’ob nehmen teil. Sie haben Macht über die Wälder und wachen darüber, dass es während des Anbauzyklus nicht zu Unfällen kommt, ebenso wie die Aluxo’ob, übernatürliche Wesen, die auf die Milpa aufpassen. Schließlich werden die Windgött*innen oder Iko’ob, die dafür verantwortlich sind, ob Menschen krank werden oder nicht, sowie die Uiniko’ob als Beschützer*innen der Menschen und die Balamo’ob als Beschützer*innen der Völker zu der Zeremonie eingeladen. Die Zeremonie dauert mindestens drei Tage und wird in Höhlen in der Nähe der archäologischen Stätte Tulum gemäß dem Sonnenkalender an den letzten Tagen des Ha’ab abgehalten, zwischen dem 16. und dem 20. Juli. Der Gott Cháak gibt Auskunft darüber, wann, wo und wie die Opfergaben erbracht und Riten durchgeführt werden, um reiche Ernten zu erbitten. Viele Ernährungssysteme der Indigenen Völker gehen mit Ritualen einher, die auf die Natur oder auf jene Elemente ausgerichtet sind, die mit der Natur in Beziehung stehen. Und es ist diese Form des Respekts, durch die Indigene Völker zu Hüter*innen der weltweit verbleibenden Biodiversität geworden sind.

 

Ein weiteres wichtiges Merkmal Indigener Völker ist ihre gesellschaftliche Organisierung und der große Wert, der auf Gegenseitigkeit gelegt wird. Feste wie Ch’a’ Cháak werden kollektiv begangen, der Austausch und die gegenseitige Anerkennung als Gemeinschaft sind dabei zentral. Das Geschehen rund um die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, dass viele Indigene Menschen, die außerhalb ihrer Territorien lebten, nach Hause zurückgekehrt sind. Sie hatten das Sicherheitsgefühl gesucht, das ihre Nachbar*innen und Familien ihnen geben; Gemeinschaften, in denen sich die Menschen umeinander kümmern. Viele von ihnen sagten, dass sie in der Stadt alleine sterben würden, während das Überleben in der Gemeinschaft eine kollektive Verantwortung sei. Das zeigte sich etwa an der Umsetzung kollektiver Quarantäne, bei der Indigene Völker ihre Grenzen schlossen, um zu verhindern, dass die Krankheit in ihrer Gemeinschaft Einzug halten konnte, und daran, wie sie sich organisierten, um sich in einer Zeit der Ungewissheit um ihre Ältesten oder Schwächsten zu kümmern.

 

Die Milpa zu bestellen und den Xook K’iin zu praktizieren sind damit Akte des Widerstandes und des Überlebens. Es sind Praktiken, die dem Wissen entspringen, das die Maya über ihre Territorien haben, über die Zyklen ihrer Umgebung, über die Formen kollektiver Organisation und über die eigene Kosmovision.

Schlussfolgerungen

Wir konnten zeigen, dass die Indigenen Völker der Welt viel zu bieten haben, wie etwa ihr über Jahrhunderte entwickeltes Wissen der Umwelt und ihr Verständnis von Zeitläufen und Zyklen. Daher sind ihre Kosmovision und ihr Weltverständnis wesentliche Bestandteile einer Resilienz dieses Planeten. Denn trotz jahrhundertelanger Marginalisierung und Diskriminierung – so formuliert es das Kollektiv Futuros Indígenas – stellen die Indigenen Völker eine gelebte Alternative zur Klimakrise dar.

 

Auch wenn bei der Bewertung der Rolle Indigenen Wissens Fortschritte zu verzeichnen sind, gibt es noch viel zu tun. Zu den Hürden, die es zu überwinden gilt, gehört das fehlende Verständnis für die Beziehung von Indigenem Wissen zu seiner mündlichen Überlieferung. Die Weise, in der in den konventionellen Wissenschaften aufgezeichnet und Beweise erbracht werden, geht einher mit einer Geringschätzung anderer Formen der Wissensbildung, wie jene der Indigenen Völker (Milbank et al. 2021). Wenn wir stattdessen von einer gemeinsamen Wissensproduktion sprechen und dabei anerkennen, dass sich beide Wissensformen ergänzen, gibt es üblicherweise dennoch eine Tendenz, das Indigene Wissen zunächst durch das westliche Wissen zu bestätigen – wodurch das eine dem anderen untergeordnet wird. Was wir hingegen brauchen, um eine nachhaltige und gerechte Welt zu erschaffen, ist ein Dialog beider Wissensformen aus Perspektive der Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Wie die Erfahrungen von Matías Hoil Tzuc und Bernabé Caamal Itzá belegen, kann eine Kombination aus verschiedenen Praktiken und Beobachtungen es ermöglichen, in einer Region mit Extremwetterereignissen – wie der Yucatán-Halbinsel – Resilienzstrategien zu entwickeln.

 

Bei den Maya wie Matías Hoil Tzuc oder Bernabé Caamal Itzá in dieser Region können wir sehen, wie Praktiken der Anpassung an den Klimawandel neu belebt werden und das Wissen ihrer Völker zu einem Ausbau nachhaltiger Ernährungssysteme beiträgt. Dafür nutzen sie unter anderem Methoden wie der Xook K’iin und ihr Wissen über ihre Umwelt, Zyklen der Natur und die Verwendung einheimischer Maissorten. Ihre Praxis legt auch Zeugnis darüber ab, welch langen Weg Indigene wie die Maya gegangen sind, um trotz widriger Umweltbedingungen zur Entwicklung der Milpa und anderer Anpassungsprozesse zu gelangen. Obgleich viel Indigenes Wissen verloren geht, ist es für Matías Hoil Tzuc wichtig, dieses Wissen neu zu beleben, anzuwenden, und sich wieder mit der Umwelt und den Sinnen zu verbinden. Ihm geht es nicht alleine darum, Indigenes Wissen wertzuschätzen, sondern auch darum, es sichtbar zu machen, darüber zu sprechen, es zu verbreiten und in allen Räumen zu beleben, denn so kann es mit den Sprecher*innen der Sprache und den Anwender*innen dieses Wissens fortbestehen.

 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Wenn wir einen lebenswerten Planeten bewahren wollen, wenn wir weitere 3.000 Jahre überleben wollen, wie es die Maya getan haben, ist es an der Zeit, unsere Sinne mit der Natur zu verbinden, das zu erlernen, was unsere Ahnen uns gelehrt haben, und damit zu beginnen, die Dinge anders zu machen. Was ist mit dir? Bist du bereit, dich mit deiner Umwelt zu verbinden und von den Indigenen Völkern zu lernen?

Über die Autor*innen

Carolina Camacho-Villa arbeitet interdisziplinär zu Agrarwissenschaften, genetischen Ressourcen sowie zur Soziologie des ländlichen Raums. Zu ihren Forschungsthemen gehören traditionelle landwirtschaftliche Anbauweisen, Agrobiodiversität und der technologische Wandel in der Landwirtschaft. In den letzten Jahren hat sie sich mit gesellschaftlichen Aspekten von Projekten in der Entwicklungszusammenarbeit befasst, in deren Mittelpunkt die Landwirtschaft und der technologische Wandel in Lateinamerika stehen. In einigen dieser Projekte lag der Fokus auf Faktoren, die einen technologischen Wandel begünstigen, in anderen koordinierte sie die gemeinsamen Bemühungen, gesellschaftliche Inklusion als zusätzliche Perspektive einzubeziehen. An der University of Lincoln untersucht sie die gesellschaftlichen Auswirkungen von Technologien auf den Nahrungsmittelanbau und insbesondere den Beitrag der Agrorobotik zur Lösung der Herausforderungen bei Ernährung und Nachhaltigkeit.

Tania Eulalia Martínez Cruz ist eine Indigene Forscherin vom Volk der Ëyuujk, die sich interdisziplinär mit Agrartechnik, Wasserwirtschaft und Bewässerung sowie sozialwissenschaftlichen Themen beschäftigt. Sie ist seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen NGOs in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit aktiv und arbeitet von Sanitärtechnik bis zu gesellschaftlicher Inklusion zu unterschiedlichen Aspekten. Ihre Forschung verbindet sich mit ihren persönlichen Erfahrungen zu einem Aktivismus, in dessen Zentrum die Bedeutung der Indigenen Völker für die Lösung globaler Herausforderungen steht, wie etwa dem Klimawandel, der Ernährungssouveränität oder dem gesicherten Zugang zu Wasser. Sie ist Forschungsmitarbeiterin an der Université Libre de Bruxelles, Mitglied des Beratungsgremiums der Indigenous Partnership on Agrobiodiversity and Food Sovereingty sowie Teil des Kollektivs Futuros Indígenas.

Alejandro Ramírez López  ist im Bundesstaat Oaxaca geboren und ist mixtekischer Herkunft. Als Dozent und unabhängiger Forscher hat er mehr als 20 Jahre Erfahrung in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit sowie in landwirtschaftlichen Projekten in Lateinamerika. Er studierte Agrarwissenschaften am Instituto Tecnológico Agropecuario in Oaxaca und hat einen Masterabschluss in ländlicher Entwicklung vom Colegio de Postgraduados. Seinen Berufseinstieg hatte er als landwirtschaftlicher Berater am Programa Elemental de Asistencia Técnica, er arbeitete auch als Dozent und Leiter des Instituto Tecnológico de San Miguel el Grande in Oaxaca. Als Berater, Mitarbeiter und Forschungsassistent am Centro Internacional de Mejoramiento de Maíz y Trigo (CIMMYT) war er an vielfältigen sozialwissenschaftlichen Untersuchungen in Mexiko und Lateinamerika beteiligt. Für die Universidad Iberoamericana war er als Gutachter tätig. Heute arbeitet er als Gutachter für die University of Michigan in den USA.

Matías Hoil Tzuc ist unabhängiger Forscher der Maya in Chechmil und stammt aus Chemax im Bundesstaat Yucatán. Yukatekisch Maya ist seine Muttersprache und auch die Sprache, in der er schreibt und übersetzt. Er organisiert kulturelle Projekte, fördert die Milpa-Landwirtschaft der Maya sowie die eigene Kultur (Sprache, traditionelles Heilwissen, Rechte, Gleichstellung usw.). Er arbeitet mit Jugendlichen zu Fragen der menschlichen Entwicklung, war Dozent in der Oberstufe sowie an der Universität und hat ehrenamtlich als Coach für junge Studierende gearbeitet. Zuletzt kooperierte er mit verschiedenen Forschungsinstituten wie dem Centro Internacional de Mejoramiento de Maíz y Trigo (CIMMYT) und der Universidad Iberoamericana. Er hat einen Masterabschluss vom Centro Agronómico Tropical de Investigación y Enseñanza (CATIE) in Turrialba, Costa Rica. Als Kleinbauer wendet er das traditionelle Milpa-System der Maya an und beschäftigt sich gerade mit Imkerei, agrarökologischen Projekten und biologischen Anbaumethoden.

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