Seit Jahrzehnten werden Stimmen, die die Politik des israelischen Staates in den besetzten palästinensischen Gebieten kritisieren – einschließlich Maßnahmen, die von den höchsten Gerichten der Welt als illegal eingestuft wurden, oder militärischer Aktivitäten, die zu glaubwürdigen Anschuldigungen von Kriegsverbrechen durch die UN führten - zum Schweigen gebracht, ihnen wird die Förderung entzogen, sie werden delegitimiert oder werden Opfer physischer Gewalt. Der israelische Angriff auf den Gazastreifen seit Oktober 2023 hat jedoch zu einer erheblichen Veränderung des Ausmaßes und der Form dieser Unterdrückung geführt––obwohl der Internationale Gerichtshof entschieden hat, dass Israel in mehreren Punkten gegen das Völkerrecht verstoßen hat.

 

In den letzten Jahren haben verschiedene Gruppen aus der Zivilgesellschaft begonnen, Fälle von Unterdrückung palästinensischer Stimmen, progressiver jüdischer Stimmen und der Stimmen ihrer Verbündeten zu erfassen, jeweils aus dem Blickwinkel ihrer eigenen Praxis. Seit Oktober 2023 werden diese Beobachtungen angesichts der fieberhaften Verschärfung der Unterdrückung, über einzelne Regionen und Disziplinen hinaus, mit neuer Dringlichkeit durchgeführt.

 

Das von Forensis, der Spore Initiative und dem Dichter Ghayath Almadhoun mit Unterstützung der Diaspora Alliance organisierte Cancelled Culture bringt einige dieser Gruppen zusammen-darunter Stimmen aus Kultur, Aktivismus, Journalismus und Recht.
Im Geiste der Solidarität und des Widerstands wird die Veranstaltung in einem zweitägigen Programm mit Diskussionen, Interviews und Performances die Phänomene des Silencing (zum Verstummen bringen), des Cancelns und der Unterdrückung der Redefreiheit untersuchen.

Programm

Samstag, den 30. November

 

11:30 Uhr      Eröffnungsrede
 

 

12:00 Uhr

12:00 Anatomie einer Cancellation: Wie sind wir hierher gekommen, und wie passiert es?
Yossi Bartal und Emily Dische-Becker
 


Was ist das Regelwerk für die „Cancellation“? Wann und wo wurden diese Regeln geschrieben? Der Journalist Yossi Bartal und Emily Dische-Becker, Deutschland-Direktorin von Diaspora Alliance, erörtern, wie die Sanktionierung von Palästinenser*innen und pro-palästinensischen Äußerungen heute in Deutschland und auf der ganzen Welt abläuft, und schlüsseln die Instrumente und Haltungen auf, die dies möglich machen.

 

 

 

13:00 - 14:00 Uhr Baba Ghanoush von Ghayath Almadhoun

 

 

15:00 Uhr Deborah Feldman und Yazan Khalili im Gespräch

 

 

16:30 Uhr      Deutschland im Jahr 2024, aus dem Ausland betrachtet

Mit Ghayath Almadhoun, Ewa Majewska, und Eyal Weizman, moderiert von Emily Dische-Becker

 

Seit Oktober 2023 ist die Welt Zeuge intensiver Bemühungen der politischen und kulturellen Eliten in Deutschland, die Unterstützung der Rechte der Palästinenser*innen und die Kritik an der Politik des israelischen Staates zu unterdrücken. Wie sieht dies aus der Perspektive der Bürger*innen von Staaten aus, die bereits in unterschiedlichem Ausmaß ihre Rechte auf freie Meinungsäußerung beschnitten sehen? Emily Dische-Becker moderiert eine Diskussion mit Beiträgen aus Israel, Polen und Syrien.

 

 

18:00 Uhr     Strategien des Widerstands aus kurdischen und palästinensischen Erfahrungen in Deutschland

Mit Nora Ragab und Dillar Dirik, moderiert von Arjin


Kuratiert von Palestine Speaks wird das Podium palästinensische und kurdische Perspektiven auf die systematische Unterdrückung abweichender Stimmen durch den deutschen Staat untersuchen, die sich gegen Besatzung, Apartheid und Unterdrückung wenden.

 

 

19:00 Uhr     Lesung von Ghayath Almadhoun, Haytham el-Wardany, Deborah Feldman, Lana Bastašić und Rasha Salti

 

Ghayath Almadhoun kuratiert eine Auswahl von Lesungen und literarischen Performances von Schriftsteller*innen, die im Zusammenhang mit ihren pro-palästinensischen Äußerungen Zensur oder Absagen erfahren haben.

 

Sonntag, den 1. Dezember

 

12:00 Uhr       Zum Schweigen bringen: Desinformation, Kriminalisierung und rechtliche Konsequenzen

mit Jasmin El Hussain und Tobias den Haan

 

Das European Legal Support Center (ELSC) verteidigt und stärkt die palästinensische Solidaritätsbewegung vor Gerichten in ganz Europa. Seit 2019 überwacht das ELSC die Unterdrückung der Solidarität mit Palästina in Europa, das Schrumpfen des zivilgesellschaftlichen Raums und den daraus resultierenden abschreckenden Effekt. Der Monitoring-Beauftragte und die juristische Referentin des ELSC in Deutschland stellen exemplarische Fälle vor und erörtern, wie das Recht sowohl als Instrument der Unterdrückung als auch als Mittel des Widerstands eingesetzt werden kann.

 

 

15:00 Uhr       Candice Breitz und Nicolás Jaar im Gespräch mit Hanno Hauenstein

 

 

16:30 Uhr       Absurde Briefe: Lektüre ausgewählter Cancel-Bescheide
Lesung mit Lara Laila und Racha Gharbieh


 
Absurdität und Unvernunft sind oft Kennzeichen einer schleichenden autoritären Tendenz. Ghayath Almadhoun und Emily Dische-Becker kuratieren eine Reihe von Spoken Word Performances von Briefen, mit denen Künstler*innen, Akademiker*innen und andere Kulturschaffende darüber informiert wurden, dass ihre Veranstaltungen abgesagt, ihre Positionen beendet oder ihre Stimmen auf andere Weise zum Schweigen gebracht wurden.

 

 

17:30 Uhr    Ein Ende der akademischen Komplizenschaft

mit Nabil, Mira und Dr. Isabel Feichtner

 

Im vergangenen Jahr haben Studierende in ganz Deutschland gegen die ideologische und materielle Unterstützung des Völkermordes in Gaza durch ihre Hochschulen protestiert - viele dieser Proteste wurden mit Polizeigewalt beantwortet. Im August forderten Studierende und Mitarbeitende der TU Berlin ihre Verwaltung auf, die Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten zu beenden, die an Völkerrechtsverletzungen beteiligt sind. Diskutiert mit Akademiker*innen und Studierenden über die Verpflichtung der Universitäten, die Komplizenschaft zu beenden, und über studentischen Aktivismus im Kontext der verschärften staatlichen Repression.

 

 

 

18:30 Uhr     Abschließende Bemerkungen

 

 

19:00 Uhr.    Starry Night: Eine performative Lesung mit Mazen Kerbaj

 

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Forensis wurde 2021 in Berlin von Mitgliedern der Forschungsagentur Forensic Architecture gegründet und arbeitet für und in Zusammenarbeit mit Einzelpersonen und Gemeinschaften, die von staatlicher und unternehmerischer Gewalt betroffen sind, um deren Forderungen nach Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Rechenschaftspflicht zu unterstützen.
 

Ghayath Almadhoun ist ein palästinensisch-syrisch-schwedischer Dichter, der in Damaskus geboren wurde und heute zwischen Stockholm und Berlin lebt.

 

 Yossi Bartal ist Wissenschaftler und Journalist.

 

Candice Breitz ist eine in Berlin ansässige südafrikanische Künstlerin, die seit 2002 in Deutschland lebt. Im November 2024 sagte das Saarlandmuseum eine Ausstellung von Breitz' Werken als Reaktion auf ihre Kritik an der rechtsextremen israelischen Regierungskoalition abrupt (und ohne ein ordentliches Verfahren) ab. Zuvor war ein Symposium mit dem Titel „We Still Need to Talk“ (das Breitz gemeinsam mit Michael Rothberg kuratiert hatte) mit Unterstützung des deutschen Staates zweimal verhindert worden (zunächst von der Akademie der Künste in Berlin im Dezember 2022 und dann von der Bundeszentrale für politische Bildung Mitte Oktober 2023).

 

Dilar Dirik ist Postdoktorandin an der Universität Oxford und promovierte in Soziologie an der Universität Cambridge. Sie hat umfangreich über den kurdischen Widerstand geschrieben.


 
Emily Dische-Becker ist Autorin, Organisatorin und Kuratorin, Leiterin des deutschen Zweigs von Diaspora Alliance und Wissenschaftlerin für Forensis und Forensic Architecture.

 

Tobias den Haan ist ein Monitoring-Beauftragter, der die Repression, das Verschwinden und das zum Schweigen bringen der Solidarität mit Palästina in Deutschland dokumentiert, mit besonderem Interesse an Kolonialgeschichte und dekolonialer politischer Theorie.

 

Jasmin El Hussein ist eine Anwältin, die sich dem Schutz der Rechte von gefährdeten Gruppen widmet und die Stimmen derjenigen verstärkt, die Repression ausgesetzt sind.

 

Haytham el-Wardany ist ein ägyptischer Schriftsteller und Übersetzer. Er lebt und arbeitet in Berlin. Er schreibt Kurzgeschichten und experimentelle Prosa. Seine Praxis konzentriert sich auf Belletristik, insbesondere Kurzgeschichten, und Sachbücher, wie Essays und fragmentarische Prosa.

 

Deborah Feldman ist eine in Amerika geborene deutsche Schriftstellerin, die in Berlin lebt. Ihre Autobiografie aus dem Jahr 2012 erzählt die Geschichte ihrer Flucht aus einer ultra-orthodoxen jüdischen Gemeinde in Brooklyn, New York.

 

Dr. Isabel Feichtner ist Professorin für Öffentliches Recht und Internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Würzburg.

 

Racha Gharbieh hat einen Abschluss in Innenarchitektur und arbeitete von 2001 bis 2015 im Bereich Architektur. Seit ihrem Umzug nach Berlin im Jahr 2015 arbeitet sie mit Künstler*innen an verschiedenen Projekten in den Bereichen bildende Kunst, Theater und Musik zusammen. Sie ist Mitbegründerin des Kollektivs Smallest Functional Unit, Mitherausgeberin des Magazins Graphème und Mitkuratorin der monatlichen Veranstaltungsreihe Making Waves, die Gespräche und Filmvorführungen umfasst. Darüber hinaus ist sie Mitverlegerin von Headache Comics, einem Verlag für alternative Bücher und Comics.

 

Hanno Hauenstein ist ein in Berlin lebender unabhängiger Journalist und Autor. Seine Arbeiten sind u.a. in The Guardian, Berliner Zeitung, The Intercept und Haaretz erschienen.

 

Nicolás Jaar, 34 Jahre alt, wurde in New York von chilenischen Eltern geboren und wuchs zwischen Santiago und New York auf. Seit 2008 hat er Musik unter verschiedenen Namen veröffentlicht, die ein breites Spektrum von Pop, Ambient, Noise und Clubmusik abdecken. Seit 2013 kuratiert er das Label Other People, auf dem er visuelle und auditive Werke von Künstler*innen wie Maziyar Pahlevan, Africanus Okokon, Jena Myung sowie die Musik von Aho Ssan, Saint Abdullah, Dienne, Pierre Bastien und Lydia Lunch, unter anderem, veröffentlicht hat. In den letzten Jahren hat sich Nicolás vor allem auf die Bildung konzentriert und gibt Workshops in Sound-Editing und Hören für aufstrebende Musiker*innen und Nicht-Musiker*innen in Institutionen wie dem Museo de la Memoria in Santiago, Chile, der AdBK in München, Deutschland, free.wav in Attappadi, Indien, dem Festival 4x4 in Chiapas, Mexiko, Dar Jacir und Alrowwad in Bethlehem, Palästina und anderen. Sein neuestes Projekt trägt den Namen „Archivos de Radio Piedras“. Es handelt sich um ein 3,5 Stunden langes Hörspiel, das in der nahen Zukunft in Chile spielt. Seine Debüt-Geschichtensammlung „Isole“ wurde im Februar 2024 vom italienischen Verlag Timeo veröffentlicht. Nico ist auch Mitglied der „Shock Forest Group“, von „Darkside“ und war Mitbegründer von „Musicians for Palestine“.

 

Mazen Kerbaj ist ein libanesischer Comic-Autor, bildender Künstler und Musiker, geboren 1975 in Beirut. Er arbeitet auch an ausgewählten Illustrations- und Designprojekten und hat an der American University of Beirut unterrichtet. Kerbaj ist Autor von 15 Büchern, die in mehr als zehn Sprachen übersetzt wurden, und seine Werke wurden in Galerien, Museen und Kunstmessen weltweit ausgestellt. Mazen Kerbaj gilt als einer der Initiator*innen und Schlüsselfiguren der libanesischen Szene für freie Improvisation und experimentelle Musik. Als Trompeter überschreitet er die Grenzen des Instruments bis zur Unkenntlichkeit.

 

Yazan Khalili ist ein bildender Künstler, Architekt und Kulturaktivist, der in und aus Palästina arbeitet und derzeit in Amsterdam, Niederlande, lebt, wo er an der Amsterdam School for Cultural Analysis (ASCA) der Universität Amsterdam promoviert. Im Jahr 2022 nahm Khalili als Teil des Kollektivs Question of Funding an der Documenta 15 in Kassel teil.
 

Lara Laila ist eine palästinensisch-deutsche Moderatorin und Aktivistin.

 

Ewa Majewska ist feministische Kulturtheoretikerin und außerordentliche Professorin an der SWPS-Universität in Warschau. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Archivstudien, Dialektik des Schwachen, feministische kritische Theorie und Antifaschismus.

 

Mira ist eine südafrikanische studentische Aktivistin des Kollektivs Stand Up for Palestine an der Universität Potsdam.

 

Nabil ist ein palästinensischer studentischer Aktivist des Studierendenkollektivs NotInOurNameTU an der TU Berlin.
 

 

Nora Ragab ist eine deutsch-palästinensische Migrationswissenschaftlerin mit Sitz in Berlin und forscht zu den Schnittstellen von Diaspora-Mobilisierung, Konflikten und den sozio-politischen Dynamiken von Vertreibung.

 

 

Rasha Salti ist Forscherin, Autorin, Produzentin und Kuratorin für Kunst und Film.

 

 

Eyal Weizman ist Direktor von Forensis und Forensic Architecture, zwei verwandten Forschungseinrichtungen, die von ihren Büros in Berlin und London aus Untersuchungen über Rechtsverletzungen und staatliche Gewalt durchführen.