Zeit zu reden: Völkerrecht
Eine kritische Diskussion über Anspruch und Wirklichkeit, Funktionen und Strategien in Zeiten des Krieges19.00-22.30
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für Erwachsene
auf Deutsch
Israels militärisches Vorgehen in Gaza nach den Angriffen der Hamas am 7. Oktober 2023 ist zum Prüfstein für das Humanitäre Völkerrecht geworden. Dieses entstand nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit dem Ziel, Regeln für den Krieg zu entwickeln, die Zivilisten schützen und Leid minimieren sollten. Dokumente wie die Genozidkonvention und die Genfer Abkommen haben inzwischen fast universelle Gültigkeit. Dennoch sind Kriegsverbrechen in vielen Konflikten der vergangenen Jahrzehnte nicht verfolgt worden – meist, weil die Mitglieder des Weltsicherheitsrates eine Aufarbeitung der eigenen Taten oder der Verbrechen verbündeter Staaten verhinderten.
Angesichts des Ausmaßes der Zerstörung palästinensischer Existenz in Gaza und im Westjordanland erweist sich das Humanitäre Völkerrecht nun endgültig als abstraktes Versprechen, das westliche Mächte vor allem im eigenen Interesse einsetzen. Obwohl die beiden wichtigsten völkerrechtlichen Institutionen Verfahren gegen Israel bzw. israelische Politiker eingeleitet haben – der Internationale Gerichtshof untersucht den Vorwurf des Genozids, der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehle wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen – führen selbst eindeutige Stellungnahmen und verbindliche Anweisungen zu nichts.
Jetzt spielt US-Präsident Donald Trump offen mit dem Gedanken einer ethnischen Säuberung des Gazastreifens. Und der zukünftige deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz kündigt an, den Haftbefehl gegen Ministerpräsident Netanjahu nicht respektieren zu wollen. Eine solche Missachtung strafrechtlicher Maßnahmen – ausgerechnet von einem Staat wie Deutschland, das sich aufgrund seiner historischen Verantwortung stets für die Weiterentwicklung und Durchsetzung des Völkerstrafrechts eingesetzt hat – lässt grundsätzliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit und Effektivität internationaler juristischer Mechanismen aufkommen.
Ist es an der Zeit, ein neues Völkerrechtskonzept aus der Perspektive der Opfer zu entwickeln? Oder kann das bestehende Recht so reformiert werden, dass sich Verbrechen wie in Gaza nicht wiederholen? Wie lässt sich verhindern, dass politische Machtverhältnisse über die Strafverfolgung von Völkerrechtsverbrechen entscheiden? Und wie müsste eine multilaterale Weltordnung ausgestaltet sein, die Verbrechen unabhängig vom Aggressor ahndet? Wo bleibt der Anspruch – 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – jeden Menschen vor Kriegsverbrechen zu schützen?
Teilnehmer*innen: Martin Kobler, Khaled El Mahmoud, Dr. Julia Duchrow, Prof. Dr. Matthias Goldmann
Moderation: Kristin Helberg
Die Veranstaltung findet mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Mercator statt.